7 Tipps, wie du als Lehrer*in deine Schüler garantiert demotivierst

Immer wieder erstaunt es mich, wenn ich sehe, wie aus motivierten Schulanfängern im Laufe weniger Jahre demotivierte Schulanwesende werden können. Schüler*innen, die es nicht die Bohne interessiert, was Lehrpersonen ihnen beibringen möchten. Kinder, die am Morgen am liebsten daheim bleiben würden – und es manchmal auch tun. Junge Menschen mit einer diagnostizierten Hochbegabung, die keinen Satz orthografisch korrekt aufs Papier bringen. 

Hier die entsprechende Anleitung, wie man unglückliche Schüler*innen hervorbringt, die allen am Unterricht Beteiligten Zeit, Geld und Nerven abverlangen.

Tipp 1: Die ganze Klasse kriegt den gleichen Input

Also eigentlich ist das Unterrichten ja eine einfach Sache – besonders am Montag Morgen, wenn das Wochenende für alle Beteiligten reichlich überladen und die Erholungszeit zu kurz bemessen war. Wir kennen das als Lehrpersonen alle.
Da kannst du es dir als Lehrperson aber ohne schlechtes Gewissen leicht machen: Ein Aufsatzthema fällt dir auf dem Weg zur Schule bestimmt noch ein und damit sind die nächsten zwei Lektionen Ruhe sichergestellt. Wenn du Glück hast, arbeitest du als Fachlehrperson und kannst dich so locker durch den ganzen Montag schlängeln. Hach, Lehrerin sein ist der beste Beruf der Welt!

Grafik: Kompassdigitalerwandel.ch

Tipp 2: Jedes Kind hat sich genau an die Ziele des Lehrplans zu halten

Ein Blick in den Lehrplan21, die Bibel der Schweizer Lehrpersonen, weil kompetenzorientiert und brandneu, zeigt dir ganz genau, was die Lernenden können müssen.

Die Schülerinnen und Schüler können in einer persönlichen Handschrift leserlich und geläufig schreiben und die Tastatur geläufig nutzen. Sie entwickeln eine ausreichende Schreibflüssigkeit, um genügend Kapazität für die höheren Schreibprozesse zu haben. Sie können ihren produktiven Wortschatz und Satzmuster aktivieren, um flüssig formulieren und schreiben zu können. (https://lu.lehrplan.ch)

So lautet im Lehrplan das übergeordnete Ziel im Bereich „Texteschaffen“.

Dass Aynur gerade mal vor einem Monat aus der Türkei zugezogen ist und sich mit Händen und Füssen und ein paar Brocken Mundart schon ordentlich verständigen kann, ist zwar toll – aber flüssig formulieren kann sie bestenfalls auf dem Pausenplatz. Und Basil mit seiner Lese-Rechtschreib-Schwäche beweist zwar unendlich viel Fantasie im Erfinden von Geschichten, aber du als Lehrerin musst mindestens ebenso viel davon aufbringen, um dir den Inhalt seiner Geschichte zu erschliessen. 
Das darf dich keinesfalls davon abhalten, diesen beiden und auch anderen, die ein individuelles Lernziel bräuchten, klarzumachen, was sie zu tun haben – ausser die Heilpädagogin verbringt gerade eine ihrer drei Wochenlektionen bei dir. Dann schon. Aber dann ist das ihre Sache. Nicht deine.

Tipp 3: Die Übungszeit ist für alle gleich bemessen

Das hat sich in all den Jahren ja auch nicht verändert und wurde dir in der Ausbildung bestimmt auch beigebracht: Die Lektionen dauern 45 Minuten – okay, manchmal 90. Prima für den Aufsatz. Aber sonst ist das Schema allen klar: Input und dann üben. Wer bis zum Ende der Stunde noch nicht fertig ist, löst den Rest daheim. Noch Fragen? 

Tipp 4: Alle Kinder bekommen gleich viel Unterstützung

Als Lehrperson sollte es dein grösstes Anliegen sein, gerecht zu sein. Denn was macht eine gute Lehrperson aus? Eben. Ihre Gerechtigkeit. Das gilt auch für die Zeit, die du den einzelnen Schüller*innen  zugestehst. Nach einem Einführung ins Thema bleiben in der Regel noch 35 Minuten Übungszeit. In einer Klasse mit 20 Kindern also 105 Sekunden für ein Kind. Auch die cleveren Kids haben schliesslich deine Aufmerksamkeit verdient! Allerdings könntest du sie, wenn die Aufgaben richtig gelöst wurden, auf die Heftgestaltung, die Schrift, ihre Sitzhaltung oder die Pultordnung hinweisen – schliesslich haben auch sie es verdient, von dir Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten zu bekommen!

Grafik: Kompassdigitalerwandel.ch

Tipp 5: Die Komplexität der Aufgabe ist für alle identisch

Achte bei der Aufgabenstellung darauf, dass sie für alle lösbar ist! Wir Schweizer mögen ja das Mittelmass, also schau darauf, dass der Schwierigkeitsgrad dem absoluten Durchschnitt entspricht. Wer schneller fertig ist, kann ja nochmals eine Aufgabe lösen. Wer es nicht schafft – wir kennen das ja – bearbeitet sie daheim mit Eltern oder Nachhilfelehrer*in nochmals.

Das Gleiche gilt selbstverständlich auch bei der Buchauswahl zu beachten. Eine Klassenlektüre muss so beschaffen sein, dass sie sich den durchschnittlichen Lesern erschliesst, auch wenn das Thema nicht für alle gleich packend sein kann. Schliesse ebenfalls aus, dass ein Erstklässler „Harry Potter“ liest. „Tomi und Tina mit Toto im Garten“ sind auf dieser Stufe methodisch absolut relevant und adäquat.

Grafik: Kompassdigitalerwandel.ch

Tipp 6: Mit der gleichen Methode gelangen die Kinder am besten zum Ziel

Wichtig ist, dass die Schüler*innen den einen, narrensicheren Weg kennen, wie sie die Prozentrechnungen lösen können. Dass es auch andere Möglichkeiten gibt, müssen sie nicht wissen. Und wenn sie es zufällig herausfinden, ignoriere diese Erkenntnis, denn sie stiftet nur unnötige Verwirrung.

Der gleiche Ansatz gilt auch für Forschungsaufgaben. Die Informationen haben auf vorgegebenem Weg gefunden zu werden – sich mit einem Fachexperten zum Thema auszutauschen, wäre viel zu einfach. Und auch Recherchen im Internet darfst du auf keinen Fall erlauben, denn wir wollen doch den Medienkonsum der nächsten Generation nicht unnötig heraufsetzen, nicht wahr?

Grafik: Kompassdigitalerwandel.ch

TIPP 7: Alle Kinder präsentieren identische Ergebnisse

Gerade bei einem Buchvortrag ist es von eminenter Wichtigkeit, dass alle Lernenden ihr Plakat dazu nach dem gleichen Raster gestalten. Wo bliebe sonst die oben erwähnte Gerechtigkeit bei der Bewertung der Aufgabe? Genau.

Grafik: Kompassdigitalerwandel.ch

*Ironie-Modus OFF*

Was sich hier überspitzt liest, höre ich leider öfters an Elterngesprächen. Diese 7 G der Gleichmacherei sind in Unterricht verbreiteter, als man denken würde, was vielen Kindern die Schule zur Qual werden lässt und Potenziale und Begabungen buchstäblich verschüttet.

Müsste ich eine Kurzanleitung für gelingenden Unterricht verfassen, würden die Kapitel in etwa so aussehen:

  1. Gestalte deinen Input verheissungsvoll und beziehe die Lernenden dabei ein, knüpfe an ihr Vorwissen an.
  2. Individualisiere bei der Zielsetzung und formuliere offene Fragen, die keinen Deckeneffekt hervorrufen.
  3. Gestalte die Übungszeiten möglichst offen, so dass die Lernenden ihre Zeit selber einteilen können. Wochenpläne können dabei helfen, aber auch Anreize wie „das Schwierigste zuerst“.
  4. Überlege dir, welche Kinder wie viel Unterstützung brauchen. Oft entschärfen kooperative Lernformen, Helfersysteme oder Lernpartnerschaften die Krux, dass man sich als Lehrperson nicht teilen kann.
  5. Differenziere die Aufgaben. Streiche denen, die sie nicht benötigen, mutig öde Übungsphasen und reichere sie mit neuen Herausforderungen an. Auch hier kannst du auf die Kompetenz deiner Heilpädagogin zählen. Achtung: Nicht mehr vom Gleichen!
  6. Jedes Kind hat seinen Lernstil und seine Präferenzen, wie es Dinge erledigt. Die Schule soll Kinder befähigen, herauszufinden, wie sie am besten lernen und arbeiten können. Als Lehrperson darfst du sie auf diesem Weg unterstützen.
  7. Passend zu Punkt 6 wird auch die Ergebnis-Präsentation individuell ausfallen. Es gibt so viele Möglichkeiten!

Du fühlst dich überfordert und brauchst Unterstützung, wie du den Unterricht offener und individueller gestalten kannst?  Ihr wollt als Team einen Schritt in Richtung ¨Öffnung des Unterrichts“ gehen? Gerne biete ich meinen Support an!

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