Praktische Lerntipps

Nach meinem letzten Artikel über Lernstrategien haben mir einige Leute zurückgemeldet, dass das zwar schön und gut sei- aber letzten Endes doch zu wenig konkret. Ob ich denn nicht noch ein paar praxisnahe Typs auf Lager hätte.  Doch ja, habe ich… ich bin ja nicht für Nichts in der konkreten Bildung geblieben, wo ich immer noch mit dem Lernen von Kids zu tun habe. Übrigens gilt eigentlich fast alles, was ich hier schreibe auch für Erwachsene. 
Es ist unser durchlässiges Bildungssystem, das dafür sorgt, dass auch wir Erwachsene geplant oder unverhofft wieder in Situationen wiederfinden, in denen wir uns nicht vor dem Lernen drücken können.

Lernen im Schlaf

Es ist nicht nur zu Zeiten der Fussball-Europameisterschaft erschreckend, wie viele übernächtigte Kinderaugen einen morgens um 8.15 angucken können. Während man weiss, dass bei Pubertierenden der Unterricht besser erst eine Stunde später anfangen würde, weil durch das Hormonchaos der Wach-Schlafrhythmus verschoben ist, sollte es eigentlich bei Kindern im Primarschulalter möglich sein, dass sie um 8.15 ausgeschlafen in ihren Bänken sitzen können. Allerdings heisst das, dass Schlafbedürfnis bekannt und Zubettgehzeit in der Familie definiert ist. Und da hapert es schon zum ersten Mal.  Für viele Eltern ist es jeden Abend ein Kampf ihr Kind zu einer ausgemachten Zeit ins Bett zu bringen und es selber einschlafen zu lassen. Von den Kämpfen zermürbt, schlafen nicht wenige Eltern zusammen mit ihren Sprösslingen ein und finden sich dann mitten in der Nacht völlig verschlafen im Kinderzimmer wieder, wo sie mit dem durchsetzungsstarken Zweitklässler eingeschlafen sind.
Grundsätzlich spricht nichts dagegen zusammen mit dem Kind einzuschlafen, falls da nicht die eigene Freizeit und Partnerschaft darunter leiden. Aber ich plädiere für fixe Einschlafenszeiten fürs Kind, die sich daraus errechnen lassen, wann es am Morgen aufstehen soll, dabei geht man von einer durchschnittlichen Schlafdauer von 11 h für ein sechsjähriges bis zu 8 h für ein vierzehnjähriges Kind aus.

Wieso ist Schlaf denn so wichtig?

Schlaf ist jene Zeit, in der das Hirn aufräumt. Ohne dass neue Eindrücke auf es einstürmen, kann es in Ruhe den Wissenszuwachs frisch zu sortieren und in Verbindung zu einander setzen. Dabei scheint es das neu Gelernte im Schnelltempo noch einmal durchzuspülen. Neurologen haben dabei herausgefunden, dass in diesen Prozessen sogar die gleichen Synapsen nochmals aktiviert werden, genau so wie sie es im Wachzustand beim Lernen tun.

Am besten profitiert man übrigens von diesem Effekt, wenn man kurz vor dem Schlafengehen den relevanten Stoff nochmals wiederholt und sich Gleichzeit (auch laut!) sagt, dass man die Materie morgen noch können will. 
Meine Mutter hat mir als Kind in den Grundzügen schon sehr Ähnliches erzählt, was wirklich dazu geführt hat, dass ich Stoff, den ich am nächsten Tag abrufbereit haben musste, am Abend vorher nochmals durchgegangen bin und dann die Bücher sogar unters Kopfkissen gepackt habe. Meistens habe ich dann auch tief und traumlos geschlafen und das Wissen problemlos reproduzieren können.
Allerdings brauchte ich  diese Methode nur bei Inhalten, die mich nicht wirklich interessieren- bei allem anderen reichte es mir vollauf, im Schulzimmer präsent zu sein (für Malen und Kritzeln während Monologen und Dia-Präsentationen, die gab damals. noch, hat es aber immer auch gereicht- was ja lerntechnisch auch voll gut ist!)

Also: Es ist für Erwachsene und Kinder gleichermassen produktiv, wenn das Lernen durch Pausen und Nickerchen von maximal 15-20 Min., also bevor die Tiefschlafphase eintritt, unterbrochen wird. Das versetzt das Hirn immer wieder von Neuem in Aufnahmebereitschaft.

Prüfungsvorbereitungen

Da Bewegung ein gutes Gehirndoping ist, wäre es völlig verfehlt, in einer Prüfungsphase oder in ihrer Vorbereitungszeit auf Sport zu verzichten! Im Gegenteil ist es sinnvoll, Bewegung in den Alltag und in die oben erwähnten Lernpausen einzuflechten. Besonders bewährt haben sich dabei Trampolinspringen und Tanzen. Ich kenne auch Kinder, die den Lernstoff in Bewegungsabläufe von Choreografien integrieren und ihn dann so besser abrufen können – das erinnert ein bisschen an die Loci-Methode, wo Inhalte an Orten platziert werden.

Lernziele analysieren

Es hat sich an den meisten Schulen durchgesetzt, dass die SuS die Lernziele vorrangig schriftlich vorgelegt bekommen und sich somit auch fokussiert aufs Lernen stürzen können.
Als Lehrerin bin ich davon nicht so begeistert, weil die meisten Prüfungen darauf hinauslaufen, angehäuftes Wissen zu reproduzieren, während ich es viel interessanter finde, wenn meine SuS Zusammenhänge verstehen und daraus Neues kreieren können.
Aber als Prüfungsvorbereitung sind definierte Lernziele natürlich hilfreich.

Texte knacken

Teste knackt man am besten farbig!  Das heisst, wenn einem das Buch nicht gehört, dann kopiert man sich die entsprechenden Seiten. Internet-Texte werden am besten ausgedruckt- allenfalls vorher in Word kopieren und formatieren. Meine SuS kriegen bereits in der 3. Klasse eine Anleitung, nach der sie Texte einfärben:
– Namen rot
– Orte grün
– Zahlen blau
– Spannendes (max. drei Dinge) gelb
Dazu versuchen sie pro A4- Seite das Wesentliche in zwei bis drei Sätzen zusammenzufassen und zwar so, wie wenn sie einem Freund davon erzählen würden.

Eine andere Methode ist das Mindmapping, mit dem Texte grafisch dargestellt werden. Obwohl es auch Mindmapping Software gibt, empfehle ich das Mappen von Hand (eignen sich übrigens auch bestens als Vortragsnotizen), weil das Zusammenspiel von Hand-Auge-Hirn die Merkfähigkeit viel mehr steigert, als wenn es am Computer aufgezeichnet wird. Ausnahmen sind natürlich Darstellungen auf dem Tablet, die ähnlich wie auf dem Papier funktionieren. Gerade bei Kids bin ich jedoch der Meinung, dass Papier die bessere Wahl ist. Aber vielleicht dient die Arbeit am Tablet ja auch mal als „Zückerchen“…

Do you speak english … ou Français o Italiano?

Vokabeln lernen… Ich erinnere mich noch gut daran, wie uns während meiner Ausbildung zur Lehrerin der Karteikasten als neuste Innovation angepriesen wurde. Ich kam mit dieser Art von Lernen nur mässig gut klar, immer wieder verlor ich Karten oder sie verschmierten, sahen unansehnlich aus – kurz ich fand 1001 Gründe, weshalb ich so nicht lernen konnte. Musste ich eigentlich auch nicht, aber darum gehts hier ja nicht. Heute gibt es digitale Karteikarten-Lernsysteme, mit denen vor allem mein jüngerer Sohn viel gearbeitet hat. Er bevorzugte die  kostenlose App Quizlet, die auch im Lernappvergleich hier gut abschneidet. Was sich für Vokabeln auch bewährt, ist Wörter, die einem nicht in den Kopf gehen wollen mit grossen Erinnerungskarten möglichst prominent sichtbar zu machen, sie also an Orten, an denen man regelmässig vorbei kommt, z.B. das stille Örtchen, aufzuhängen.
Generell ist es natürlich sinnvoll, möglichst tief in eine Sprache einzutauchen. Sohn Nr. 1 hat schon sehr früh begonnen, Bücher oder YouTube Videos konsequent auf Englisch anzuschauen, unabhängig davon, wie viel er davon verstanden hat. Ich war verblüfft, wie rasch er sich die Sprache auf hohem Niveau angeeignet hat!
Wer noch nicht so weit fortgeschritten ist, dass er sich ein ganzes Buch zumuten will, nimmt vielleicht einen Comic (der Klassiker: Asterix und Obelix auf Lateinisch!) oder liest etwas, das er schon kennt, in der Fremdsprache. „Gregs Tagebuch“ zum Beispiel gibt es auch auf Englisch.
Eine andere Möglichkeit sind (englische) Hörbücher, mit ihnen erweitert man automatisch den Wortschaft und bekommt gleichzeitig ein Gefühl für die Sprachmelodie. Das habe ich mir fürs Schwedische, das ja quasi gesungen wird, zunutze gemacht. Es gibt auch extra Hörbücher, die in einfacher Sprache gelesen werden, damit auch Anfänger eine Chance haben. Dazu kann man einfach aufs Sprachniveau A1 gucken.
Natürlich sind auch Filme eine Quelle um Sprachen zu lernen. Oft kann man auch Untertitel dazuschalten, allerdings handelt es sich da oft nicht um 1:1 Übersetzungen. Der Lern-Effekt wird sich aber trotzdem einstellen.

Von Adam Riese und Eva der Klugen

„Mathe checkt man – oder nicht!“ Das hörte ich oft meinen Schüler*innen und manchmal auch noch von meinen Klient*innen. Nun ja, so ganz einfach kann man sich heute definitiv nicht mehr aus der Verantwortung ziehen- wir leben immerhin im Internet-Zeitalter. Wenn also die Lehrperson „zu doof für das Erklären ist“ (auch das ein Zitat meiner Klienten), dann gibts ja immer noch YouTube. Wenn man hier ein Thema eingibt wie z.B. Hohlmasse umrechnen, dann findet man eine Fülle von Erklärvideos von verschiedenen Lehrenden. Man kann sich in aller Ruhe einen suchen, dessen Stil und Stimme einem angenehm ist, denn ein gutes Gefühl, eine gewisse Sympathie, auch wenn sie hier einseitig ist, ist wichtig fürs Lernen. Nicht umsonst heisst es ja auch „Lernen ist Beziehungssache„.
Wenn man weiss, welches neue Thema in Mathe als nächstes dran kommt, sollte man die Möglichkeit nutzen und sich schon mal im Vorfeld ein Lernvideo dazu anschauen. So hat man die bei den Erklärungen der Mathelehrperson die Chance mit einem farbigen Schimmer, statt einem blassen, mitzuhören und hat nicht schon von Anfang an das „ich versteh nur Bahnhof“ – Gefühl. Wichtig ist mir, dass diese Strategie nichts mit Vorauslernen zu tun hat. Das macht wenig Sinn. Aber sich schon mal auf etwas Neues vorzubereiten, hat noch keinem geschadet.

Auf eine Mathe-Prüfung lernen

  1. Vorbereitung ist das A und O, also ein paar Tage Vorlaufzeit lohnen sich, weil das Gehirn wie oben beschrieben, immer wieder Pause und die Chance, sich von den Aufgaben auszuklinken, braucht. Wir alle kennen das- etwas, was uns bis anhin schwer gefallen ist, klappt plötzlich… das hat mit der sogenannten Inkubationszeit zu tun, das Gehirn braucht Pausen um „nachzudenken“ und sich neu fokussiert auf ein Problem zu konzentrieren.
  2. Alte Übungen nochmals hervorgehen und durchrechnen. Ja, durchrechnen, nicht bloss anschauen!  Also: Weg und Resultat mit einem Blatt abdecken und selber rechnen. So merkt man auch gleich, wo es noch hakt. Denn -oh Wunder!- Mathe hat tatsächlich mit Rechnen zu tun!
  3. Wenn eine Aufgabe schlicht zu schwierig scheint, sollte man sich Hilfe holen. Manchmal geht das über YouTube oder auch den Sofatutor, allerdings besteht dann auch die Gefahr, dass man sich ablenken lässt und auf verlockenderen Seiten landet. Besser ist aber, wenn man sich einen oder zwei  Mitschüler*innen als Lernpartner*innen holt. Für Kinder können dies natürlich auch  geduldige Eltern oder ältere Geschwister sein, falls sie den Stoff beherrschen.

Buchtipps

Es gibt unzählige Bücher über Lerntechniken. Für Kinder empfehle ich gerne 
Clever lernen von Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund, erschienen 2018 bei Hogrefe Bern.
Für Erwachsene mag ich gerne das 2011erschienen Buch LernPower von Verena Steiner aus dem Pendo-Verlag, München-

Schlagwörter: Lernen · Schule 

3 Gedanken zu „Praktische Lerntipps

  1. Von: Esther

    Liebe Dina
    ich danke dir von ganzem Herzen für diesen Beitrag und die Literaturempfehlung.

    Antworten
  2. Von: isabella

    Wow, vielen Dank für die Tipps! Ich habe zwar weder Kinder noch bin ich hochbegabt, aber auch ich muss für mein Studium viel lernen und dachte mir ich suche mal nach ein paar Tipps. Und da bin ich ja glücklicherweise auf eine richtige Expertin gestoßen 😉 . Ich werde mir deine Tipps auf jeden Fall zu Herzen nehmen!
    Ich habe in einem anderen Ratgeber von Mnemotechniken wie zb der Loci-Methode gelesen (https://www.bigkarriere.de/ratgeber/arbeitswelt/schnell-auswendiglernen ). Hast du diesbezüglich auch Empfehlungen und „Lieblingsmethoden“?
    LG und vielen Dank für deine ausführlichen Beiträge,
    Isabella

    Antworten

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